Interview 2019

Interview anlässlich der Ausstellung „Korrespondenzen – Gunther Sehring und seine Sammlung, Malerei/Collage/Grafik“, Volksbank Dreieich, Dreieich-Sprendlingen, kuratiert von Esther Erfert 2019

Wie sieht Ihre heutige Verbindung und Verbundenheit zur Region aus?
Ich bin hier aufgewachsen und lebe sehr gerne im Rhein-Main-Gebiet. Die größeren Städte der Region bieten kulturelle Highlights en masse, die hiesige Kunst- und Musikszene ist anregend, interessant und immer neu zu entdecken. Und wenn es mich mal zu meinem Hobby „Wandern“ treibt, sind Odenwald, Spessart und Taunus ganz in der Nähe.

Hat sich Ihr Werdegang als Künstler schon in Ihrer Kindheit abgezeichnet? Wie kamen Sie zur Kunst?
Unvergessen sind mir die regelmäßigen Besuche im Hessischen Landesmuseum, zusammen mit meinen Darmstädter Großeltern. Der „Beuys-Block“, gerade frisch vom Künstler installiert, war damals schon ein echter Hingucker beziehungsweise „Schocker“. „Ganze Arbeit“ haben auch meine Eltern geleistet: Auf Reisen waren Ausstellungs- und Kirchenbesichtigungen eine durchaus angenehme Pflicht. Als ausgesprochener Bücherwurm habe ich mir in der Jugendzeit vieles selbst angelesen. Und, natürlich, seit meiner frühesten Kindheit zeichne und male ich mit Leidenschaft; das hat bis heute, zum Glück, nicht aufgehört!

Was möchten Sie in Ihrer Kunst vermitteln?
Es bleibt eine schöne Utopie, mit Kunst die Welt verändern zu wollen! Die Künste sollen dabei über den Tellerrand erfahrbarer materieller Wirklichkeit hinausreichen. Man darf sich jedoch nicht täuschen: Zunächst einmal „braucht“ der Künstler sein Arbeitsprodukt ganz für sich alleine – es genügt oder es genügt ihm nicht! Erst wenn ihm sein eigenes Werk so „koscher“ und authentisch wie möglich erscheint, ist es der Öffentlichkeit überhaupt zuzumuten und kann in der Folge und unter gewissen Umständen Relevanz erlangen. Ob der Rezipient schlussendlich darin etwas völlig Neues sieht, erkennt oder erlebt, ist vom Urheber kaum vorauszuplanen. Immerhin (und das ist wohl der stärkste Antrieb für einen bildenden Künstler): Die „innere Logik“ visueller Ordnungssysteme, die sich eben nicht in Worten mitteilt, erschließt transzendente Bereiche des Seins, an die unsere verbale Sprache ansonsten nicht heranreicht. Kunst machen heißt also, in (Sinn-)Bildern zu denken, um den Begriffen zu entkommen. Nicht zuletzt diesen Prozess versuche ich zu vermitteln.

Wie definieren Sie selbst Kunst?
Oft ist Kunst ja erst dann Kunst, wenn sie aus dem Rahmen fällt – siehe „Banksy“. Doch Scherz beiseite! Anbei meine ziemlich simple Gleichung (nicht zwingend in dieser Reihenfolge): Kunst = Geist/Seele + Erkenntnis + Körper + Maß + Spiel. – Habe ich etwas vergessen?

Gab es richtungsweisende Ereignisse im Laufe Ihrer künstlerischen Laufbahn, an die Sie heute noch oft zurückdenken?
Für jede wirklich konstruktive Kritik vonseiten geschätzter Kollegen war – und bin – ich dankbar. Dies hat bisweilen zu Kursänderungen in meiner Arbeit geführt. Eine rundum gelungene Ausstellung ist selbstverständlich auch solch ein richtungsweisendes, positives Ereignis, an das man gerne zurückdenkt.

Woraus ziehen Sie Anregungen für neue Werke und Ideen?
Ich bin stets auf Entdeckungsreise – auf der Suche nach dem Nie-Gesehenen, Unbekannten, das Gestalt gewinnt: in der Natur, in der Philosophie, Theologie, Historie, Literatur, Musik und Kunstgeschichte. Schließlich sind auch die „freien“, „schönen“ Künste zugleich Grundlage wie ständige Infragestellung unserer Kultur und Zivilisation. Und ihre mannigfaltigen intellektuellen Herausforderungen bieten wahrlich genug Anregung.

Welche Rolle spielen die Umwelt und die Natur in Ihrem Leben und in Ihrer Kunst?
Leider ist man viel zu oft mit seinen individuellen Interessen und Wünschen beschäftigt sowie aufs eigene Weiterkommen fokussiert. Ein pfleglicher, sorgsamer Umgang mit der Umwelt, mit seinen Mitmenschen und den Ressourcen der uns anvertrauten Schöpfung sollte uns Künstlern gleichwohl am Herzen liegen. Die Natur (mal ganz abgesehen davon, dass der Mensch ja auch ein Stück Natur ist) bietet Sehnsuchtsorte und genügend Fluchten aus unserem oftmals tristen Alltag; nicht zuletzt ist sie dabei noch immer, auch für mich, eine grandiose, inspirierende Lehrmeisterin. Ich denke zum Beispiel an all ihre prozessualen Abläufe, ihre Symmetrien und Konstruktionen…

In welchem Verhältnis stehen die Werke Ihrer Kunstsammlung zu Ihren eigenen Arbeiten?
Eine ziemlich knifflige Frage! Ich sammle Kunst, nicht immer kontinuierlich, seit den Neunzigerjahren. Früher, noch während des Studiums, habe ich regelrecht „drauflos“ gesammelt, was meinem Geldbeutel bisweilen nicht besonders gut tat. Mittlerweile schaue ich viel genauer hin, ob ein Bild, ein Kunstwerk irgendwie zu mir „passt“. Der mir noch persönlich bekannte und in meiner Sammlung vertretene Kölner Maler Jupp Lückeroth war mit seiner bedeutenden Privatsammlung zum deutschen Informel gewissermaßen ein Vorbild: Blicke stets auf das, was dich selber künstlerisch stark an- und umtreibt – das passt auch zu dir! Insofern halte ich am liebsten Ausschau nach dem, was meiner Kunstauffassung nahekommt und mein eigenes Schaffen sowohl beglaubigt als auch rechtfertigt. Ich halte diese „Scheuklappen“ im Übrigen nicht für verwerflich, auch wenn sie einem studierten Kunsthistoriker eigentlich gar nicht ziemen. Freilich lasse ich mich mitunter auch mal aufstacheln und herausfordern: Ein solch „visuelles Kräftemessen“ birgt natürlich die Gefahr des Zurechtgestutzt-Werdens in sich. Manchmal tut das sogar sehr gut! Das eigene Profil schärfen lässt sich sowieso nur dann, wenn man genau weiß, wo die anderen gerade stehen.